Zerrissene und neu geknüpfte Familienbande

Anne Flock im Juni 2020 bei einer Buchlesung. Foto: privat

Es gibt Geschichten, die wir mit unserer Fantasie kaum erfinden können, aber es gibt sie, im ganz normalen Leben.

“Heute back ich, morgen brau ich und übermorgen hol ich der Königin ihr Kind …”, beginnt der Vorspann eines Schlüsselromans, den die Hochdahler Autorin Anne Flock über ihre eigene Geschichte, die Geschichte ihrer Familie schrieb. ‘Die blaue Spur’ war ihr erster, aber längst nicht ihr letzter Roman. Inzwischen schreibt Anne Flock am sechsten Buch. Die Recherchen, die mit der Suche nach der eigenen Mutter begannen, haben die tragischen Entwicklungen einer ganzen Familie zutage gebracht. “Margret war es nicht gelungen, aus dem Stroh, das das Leben ihr vor die Füße warf, Gold zu spinnen. Und als man ihre Kinder holte, verwandelte sie sich zur Königin”, setzt der Vorspann des ersten Buches fort und beschreibt damit das Schicksal der Mutter, die ihrem Leid in eine Fantasiewelt entfloh.

Das fünfte Buch erzählt die
Geschichte von Sophies
Mutter.

Die Adoption

Die kleine Sophie, Hauptfigur in Anne Flocks erstem Buch, das auf wahren Begebenheiten beruht, ist vier, als ihr kleiner Bruder Robert und sie von einem Cousin der Mutter und dessen Frau adoptiert werden. Die eigenen Eltern getrennt, hatte das Jugendamt die beiden vorübergehend bei Nonnen im Heim untergebracht. Die beiden älteren Brüder der beiden waren schon vorab zu den Großeltern ins Emsland übersiedelt.

Die Erinnerung an den Vater war bei den beiden jüngeren Geschwistern schon verblasst, als Gustav und Inge sich aus dem Norden auf den Weg machten, um die beiden aus Köln zu sich zu holen. Eigene Kinder waren dem gläubigen Ehepaar nicht vergönnt gewesen und so sollten Sophie und ihr Bruder Robert das Leid und die vermeintliche Schmach beenden. Endlich sollten sie Kinder haben. Zuerst zur Pflege, aber die Adoption sollte zeitnah folgen.

Sophie und Robert wussten nicht, was eine Adoption ist. Die Nonnen hatten der kleinen Sophie erklärt, die Mama könne sich nicht mehr kümmern und deshalb würden sie jetzt eine neue Mama bekommen. Als die beiden dann herausgeputzt im Jugendamt auf die Ankunft der neuen Eltern warteten, freute sich Sophie. In Norddeutschland bei den neuen Eltern verblasste die Erinnerung vollends. Erst als Sophie, bereits in der Schule, von einer Klassenkameradin gefragt wurde ‘Wie ist das eigentlich, adoptiert zu sein?’, kamen Fragen auf. Als sie zuhause ihre ‘Mutter’ Inge fragte “Was ist adoptiert?”, brach diese in Tränen aus und forderte Sophie gleichzeitig auf, nie etwas zu ihrem Bruder Robert zu sagen. Sophie, erschrocken über die Reaktion, schwieg. Sophie und Robert wachsen in einer Dorfumgebung auf, in der Kirche und Glaube allseits präsent sind. So präsent, dass sie vieles überdecken und unter einem Mantel des Schweigens verhüllen.

So wie hier der Nebel über dem Land um Papenburg liegt, lag auch Sophies Herkunft und Idendität viele Jahre ‘im Nebel’. Foto: Anne Flock

Es sollten viele Jahre vergehen, bevor Sophie als 18-jährige einen ihrer älteren Brüder trifft. Wie das Leben spielt, war es ihr damaliger Freund, der die Zusammenhänge zwischen seinem Freund Heinz-Dieter und Sophie herstellte und bemerkte, dass die beiden Geschwister seien. So lernte Sophie ihren Bruder Heinz-Dieter wieder kennen. Der brachte eines Tages auch Bruder Matthias mit und so trafen schließlich alle vier Geschwister nach langer Zeit aufeinander. Matthias verloren sie in der Folgezeit wieder aus den Augen. Auch ihren Opa lernte Sophie noch kennen.

Die Begegnung

Jahre später, als Sophies Tochter geboren wurde, erwachte in ihr der Wunsch die leibliche Mutter zu treffen, die immer noch in Köln lebte. Mit 26 Jahren machte sich Sophie auf den Weg. Sie kombinierte die Begegnung mit einer Katzenausstellung, zu der sie mit ihrem Kater fuhr. Die Begegnung war ernüchternd. Die Mutter sprach sie zur Begrüßung mit ‘Sie’ an. Zu einer Aussprache kam es an diesem Tag nicht, obwohl Sophie an diesem Abend bei ihrer Mutter und dem zweiten Mann übernachtete. Am nächsten Morgen machte sie sich auf den Weg zur Ausstellung. Bevor sie sich auf den Rückweg nach Norddeutschland machte, kam ihre Mutter noch einmal zur Ausstellung, aber der gefühlte ‘Graben’, der zwischen beiden stand, schloss sich nicht mehr.

Mehr als zehn Jahre sollten vergehen, bevor Sophie sich erneut auf die Suche nach ihrer Mutter begab. Mit der Geburt ihres zweiten Kindes kamen die Erinnerungen wieder hoch. Inzwischen war sie mit ihrer Familie ‘aus dem alten Land’ nach Hochdahl gezogen. Sie bekam Herzrhytmusstörungen, für die sich keine Erklärung finden ließ. Die Erklärung lag in Sophies Gefühlen. Auf einmal war Köln nur noch 40 Kilometer entfernt.

Vorsichtig finden Anne und ihre Mutter
wieder zueinander. Foto: privat

“Ich wollte endlich die Wahrheit”, beschreibt Anne Flock, die in ihrem Roman ‘Die blaue Spur’ ihre eigene Geschichte und die ihrer Familie erzählt, was sie bewegte. 13 Jahre nach der ersten Begegnung machte sie sich erneut auf die Suche nach ihrer Mutter. Beim Einwohnermeldeamt in Köln-Chorweiler besorgte sie sich alle Adressen, an denen sie selbst einst gemeldet war und die Adresse der Mutter. In der Wohnung, in der sie sie vor mehr als 10 Jahren traf, lebte sie schon lange nicht mehr. Anne, im Buch Sophie, erfuhr, dass ihre Mutter 13 Monate nach ihrem Besuch einen Zusammenbruch erlitt und seit dem im Pflegeheim lebt. Annes Mutter konnte die Wirklichkeit nicht mehr ertragen und entfloh in eine Fantasiewelt, in der war sie eine Königin war, die als Kind entführt wurde. Als wenn es das Schicksal so bestimmt hätte, befand sie sich in einem Pflegeheim, dass in einem Schloß untergebracht war.

Zarte Bande

Behutsam knüpfte Anne erneut den Kontakt zu ihrer Mutter und erfuhr mehr über ihr Schicksal. Als Annes Mutter, vom Jugendamt gedrängt, die Einwilligung zur Adoption unterschrieb, unterschrieb sie damit auch, dass sie nie wieder Kontakt zu den Kindern und der Familie des Cousins aufnehmen würde. Das ‘Sie’, mit dem die Mutter Anne ein Jahrzehnt zuvor begrüßte, entsprang der Unsicherheit darüber, was ihr erlaubt war.

Schloß Clemenswerth, Sögel. Mutter Margret kam in Sögel zur Welt. Nach ihrem Tod brachten die Geschwister sie ‘nach Hause’. Foto: Anne Flock

Anne besuchte ihre Mutter fortan regelmäßig und sie recherchierte weiter. Auch die Brüder besuchten die Mutter, die 2016 verstarb. Die Geschwister sorgten dafür, dass sie nicht in Köln, sondern in Sögel, wo sie ursprünglich herkam, beerdigt werden konnte. Nach dem Tod der Mutter erhielt Anne ihre Tasche ‘mit den Juwelen’ und einem kleinen Notizbuch ausgehändigt. Ihre Mutter, die der Wirklichkeit entfloh, hatte darin eine unechte Krone und unechten Schmuck aufbewahrt

Von der Identitätssuchenden zur Autorin

Im Januar 2010 begann Anne ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. Es sollte 10 Jahre dauern, bis ihr erstes Buch fertig war. Aber damit war die Geschichte nicht zu Ende, denn Anne recherchierte weiter, wollte alles erfahren, auch die Geschichte ihres Vaters und die Geschichte der Großeltern. In Anne Arbeitszimmer sind inzwischen ganze Aktenordner mit den Recherchen gefüllt, die Familienschicksale, nicht nur das ihrer eigenen Familie, zu Tage brachten. Ihre Bücher sind nicht allein die Geschichte ihrer Familie, sie sind Zeitzeugnisse.

Das sechste, wie Anne Flock sagt, letzte Buch ist in Arbeit. Es wird noch geraume Zeit in Anspruch nehmen, bis Anne auch dieses Buch beendet hat, denn dafür ist noch viel Recherche in alten Akten nötig.

“Die einen erben Häuser und Aktien. Ich erbe Geschichten” sagt Anne Flock selbst zu dieser Entwicklung und sie hat viele Geschichten geerbt. Wer ‘Die blaue Spur’ gelesen hat, wird neugierig auf ihre geerbten Geschichten sein. Ihre Bücher werden im Selbstverlag herausgegeben. Wer sich für die Zeitzeugnisse und Geschichten interessiert, kann alle fünf bereits erschienen Bände zum Preis von je 14,95 Euro inklusive Verpackung und Versand über adoptionsv@web.de bestellen.

1 Kommentar

  1. Ich hatte das große Glück, diese “Geschichten” zu lesen und war oft über die tiefe der Emotionen erschüttert. Der Gedanke, dass dies alles auf tatsächlich Geschehenem basiert, ist kaum erträglich.
    Vielen Dank an Frau Flock, den dies sind sicherlich deutsche Schicksale, wie sie viel zu oft nach einigem Graben zutage kommen.

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