Das Herz im Alltagsleben und in der Literatur

Lieblingsliteratur - Empfehlungen von Elke Nußbaum

'Lieblingsliteratur' Symbolbild: congerdesign / Pixabay

In dieser für uns alle schweren Zeit möchte ich keine Buchempfehlung aussprechen, sondern unser aller Herz in den Mittelpunkt rücken mit einer Betrachtung über das Herz im Alltagsleben und einer literarischen Auswahl zum Herzen vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

1 | Die Allgegenwart des Herzens als Sinnbild und Metapher

Mit dem Herzen hat es eine eigene Bewandtnis. Es ist – sagt der Prophet Jeremias „ein trotzig und verzagt Ding. Wer kann es ergründen?“

Ohne das Herz – die Blutpumpe, dieser 300 Gramm leichte und faustgroße Hohlmuskel – kann niemand leben und es begegnet uns allgegenwärtig vor allem als Sinnbild der Liebe.

Vorbereitet wird diese Entwicklung schon seit etwa 1800: In Märchen und Sagen, in Gedichten und Liedern, auf Andachtsbildchen und Votivtafeln, Gemälden und Zeichnungen, Wappen und Skulpturen und als Schmuck tritt das Herzsymbol in Erscheinung; allenthalben wird es gedruckt, gestickt, gezeichnet, aus Wachs geformt, geklebt, eingeritzt und ausgesägt; die Volkskunst kennt es als Motiv für Dinge des täglichen Gebrauchs, für Möbel, Stoffe und Geschirr, für Grab- und Hochzeitsschmuck, sowie kunstvoll geschnittene und verzierte Paten – und Liebesbriefe.

Ein ‘optischer’ Ausflug in die ‘Herzenswelt’:

Im Alltag begegnet man ihm auch heute auf Schritt und Tritt: als verlässlicher Werbeträger, als Modegag auf T-Shirts, Gürteln und Kleidern, als Dose und Tasche, Sofa und Lampe, Aufkleber und Lichterkette, Gruß –und Glückwunschkarte, Luftballon oder Lebkuchenherz. Es ist das blinkende Aushängeschild von Bordellen und die Stechvorlage für Tattoos; der Buch-, Film- und Musikindustrie bringt es sichere Quoten, und die Herz-Schmerz-Geschichten der Reichen und Schönen sind das Lebenselixier der Boulevardpresse. Der Gefühlskommerz vermarktet unsere sentimentalen Tendenzen in Schnulze, Soap und Song, damit das Herz höherschlägt.

Und damit kommen wir zum schier unerschöpflichen Herzvokabular in der Alltagssprache. Besonders häufig werden Herz und Schmerz sowie Herz und Angst in Beziehung zueinander gesetzt.

Wir kennen

das bebende, zitternde, das in Panik rasende Herz | die Herzensangst | das Hasenherz | die bleischwere, auf dem Herzen liegende Last;

aber als tapferes Aufbäumen gegen die Angst können

wir uns ein Herz fassen oder es in beide Hände nehmen.

Wir hängen unser Herz an etwas oder geben ihm einen Stoß. | Wir machen dem Herzen Luft oder aber aus ihm eine Mördergrube. | Tief im Herzen können wir getroffen sein oder etwas nicht übers Herz bringen.

Das Herz kann sich an verschiedenen Orten befinden:

man kann es auf der Zunge haben, aber es kann einem auch in die Hose rutschen.

Auch kann man jemand in sein Herz schließen. | Auf Herz und Nieren können wir geprüft werden. | Ein Herz und eine Seele können wir sein.

Mit Hand aufs Herz wollen wir Aufrichtigkeit bekunden. Wenn wir uns einem anderen besonders offen mitteilen, schütten wir unser Herz aus. Und wes des‘ Herz voll ist, dem geht der Mund über.

Das Herz singt, lacht, jubelt, weint, erwacht, erblüht, klagt, bebt, zerspringt, blutet, schmachtet, bricht, wird geschenkt, verloren, im Sturm erobert.

Wir sprechen von barmherzigen, engherzigen und hartherzigen, von herzlichen und herzhaften, von herzlosen und herzgläubigen Menschen.

Ein Herz kann warm, weich sein, treu und traurig, klein und kalt, heiß und hart, gütig und großzügig, stolz und steinern, kurz es kann alles sein.

2 | Das Herz in der Literatur

Foto: Jess Bailey / Pixabay
Das Herz der Troubadoure, der Minnesänger

Seit dem Mittelalter ist niemand herzgläubiger gewesen als Dichter*innen. Den Vermutungen oder Einsichten der Wissenschaft zum Trotz haben sie das Herz als Organ besungen, in dem nahezu alle menschlichen Affekte ihren Ursprung haben sollen.

Du bist mein
Du bist mein, ich bin dein:
dessen sollst du gewiß sein.
Du bist verschlossen
in meinem Herzen:
verloren ist das Schlüsselein:
du musst für immer drinnen sein.

Die Zeilen einer bayerischen Nonne aus dem 12. Jahrhundert, eines der ältesten und wohl auch bekanntesten Liebesgedichte der deutschen Literatur, lenken die Blicke auf die Kraft des Herzens als Organ des Gefühls. Die Metapher des Herzschlüssels, die dichterische Abstrahierung des Herzens als Kammer, zu der nur der Geliebte Zutritt erhält, ja ganz allgemein die Verbindung von Herz und Liebe sind erst seit dem Mittelalter geläufig.

In der ritterlichen und höfischen Liebe dreht sich alles um das Herz. Die Lieder der Troubadoure, der Minnesänger sind in verschiedenen Ländern entstanden und haben sich schnell durch die fahrenden Sänger in ganz Europa verbreitet.  Das Herz wird zum Symptom, Bild und Symbol des neuen Gefühlsideals, ist aber zunächst in einen hoch komplexen Sittenkodex eingebunden: Als zentrale Tugend der Hohen Minne gilt die maze, das Maß- Halten – Können. Das Verhältnis zwischen dem dichtenden Sänger und der unerreichbaren adligen Dame ist von Entsagung geprägt. Walther von der Vogelweide (ca.1170 – 1230), der bekannteste deutsche Minnesänger sagt es kurz und bündig:

Meines Herzens tiefe Wunde,
die muß immer offen steh’n.

Das Herz bei William Shakespeare

Bei William Shakespeare (1564 –1616) begegnen wir in Drama und Lyrik häufig der Herzmetapher, wobei sich zwei Motive variantenreich  wiederholen: einerseits das Bild vom zerreißenden, zerspringenden, berstenden, brechenden Herzen, andererseits der Blick in den Abgrund böser Frauenherzen.

Durch die Tragödie „König Lear“ zieht sich wie ein roter Faden das Bild vom brechenden Herzen. In König Lear, aber auch in der Gestalt der Nebenhandlung, im Grafen von Gloucester, brechen die Herzen infolge fehlender Einsicht und mangelnder Selbsterkenntnis.

Lear, dem aufgrund seiner schlechten Erfahrungen mit seinen Töchtern Goneril und Regan die Augen geöffnet werden, erkennt, dass das Herz der Ort seiner Verletzlichkeit ist:

Mich finster angeblickt mit ihrer Zunge,
Recht schlangenartig mir ins Herz gestochen.
Nein, weinen will ich nicht.
Wohl hab‘ ich Fug zu weinen; doch dies Herz
Soll eh’ in hunderttausend Scherben splittern,
Bevor ich weine –o Narr, ich werde rasend!

Am Ende der Tragödie darf Lears Herz – in unerträglichem Schmerz über den Tod seiner jüngsten Tochter Cordelia endlich brechen.

Statt eines liebenden Herzens findet Shakespeare bei den Frauen nicht selten verschneite Hügel und Ketten von Eis oder ein Tigerherz in Weiberhaut gehüllt. In einem Sonett fühlt er sich sklavisch gefangen trotz besserer Einsicht und fünf wacher Sinne:

Wahrlich, ich lieb dich mit den Augen nicht,
Die deine tausend Fehler kühl betrachten,
Mein Herz ist’ s, das den Augen widerspricht,
Sinnlos verliebt in das, was sie verachten.

Und kein Entzücken ist’ s mir, dir zu lauschen,
Mit schmeichelndem Betasten nah zu sein,
Geschmack, Geruch, nichts lockt, mich zu berauschen
An einem Sinnenfest mit dir allein.

Doch Klugheit löst das Herz nicht aus dem Bann,
Nicht können die fünf Sinne mich erretten,
Da, kläglich Scheinbild ich von einem Mann,
Dein Sklave ward und Knecht in deinen Ketten.

In alle Kümmernis fällt nur ein Strahl:
Die mich in Sünde stieß, kennt meine Qual.

Das Herz in der Literatur des 18. Jahrhunderts

Einen Höhepunkt erreicht der deutsche Herzkult während der gefühlvollen Sturm- und Drang-Epoche. Das Herz ist Sammelbecken aller sinnlichen Triebe und aller idealistischen Bestrebungen.

Seinen unübertroffenen Höhepunkt erreicht der Hymnus auf das Herz als Sinnbild der Liebe und der Leidenschaft bei Johann Wolfgang Goethe (1749 –1832). Seine Lyrik von den frühen Rokoko-Gedichten und den Sturm- und Drang- Oden bis zum Westöstlichen Diwan und den späten Elegien ist voller Herzmetaphern:

Es schlug mein Herz; geschwind zu Pferde!
Und fort! Wild wie ein Held zur Schlacht.

Aus deinen Blicken sprach dein Herz.
In deinen Küssen, welche Liebe,
O welche Wonne, welcher Schmerz!

Und doch, welch Glück geliebt zu werden,
Und lieben Götter, welch ein Glück!    1771
(Friederike Elisabeth Brion, 1752-1813)

Herz, mein Herz was soll das geben?
Was bedränget dich so sehr?
Welch ein fremdes, neues Leben!
Ich erkenne dich nicht mehr!

Und an diesem Zauberfädchen,
Das sich nicht zerreißen lässt,
Hält das liebe, lose Mädchen
Mich so wider Willen fest!     1775
(Anna Elisabeth Schönemann, 1758-1817)

Warum gabst du uns die tiefen Blicke,
Unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun,
Unsrer Liebe, unserm Erdenglücke
Wähnend selig nimmer hinzutraun!
Warum gabst uns, Schicksal, die Gefühle
Uns einander in das Herz zu sehn…    1776
( Charlotte von Stein, 1742-1827)

Liebesqual verschmäht mein Herz,
Sanfter Jammer, süßer Schmerz;
Nur vom Tüchtgen will ich wissen,
Heißem Äuglein, derben Küssen.
Sei ein armer Hund erfrischt
Von der Lust, mit Pein gemischt!
Mädchen, gib der frischen Brust
Nichts von Pein und alle Lust.     1788
(Christiane Vulpius, 1764-1816)

Die Leidenschaft bringt Leiden! – Wer beschwichtigt
Beklommenes Herz, das allzu viel verloren?

Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren,
der ich noch erst den Göttern Liebling war;
Sie prüften mich, verliehen mir Pandoren,
So reich an Gütern, reicher an Gefahr;
Sie drängten mich zum gabeseligen Munde,
Sie trennen mich und richten mich zugrunde. 1823
(Ulrike von Levetzov)

Goethe hat die Herzenswunde verlorener Liebe immer selbst geheilt durch die kreative Gestaltung der Krise. Nach der Niederschrift des „Werther“ – Goethe verarbeitet seine Liebesenttäuschung mit Charlotte Buff – fühlt er sich „wie nach einer Generalbeichte, wieder froh und frei und zu neuem Leben berechtigt.“

Während des Dichters Herz immer wieder „bereit ist,

Und so das Herz erleichtert merkt behände,
Daß es noch lebt und schlägt und möchte schlagen

ist die Liebesverletzung seiner Geschöpfe oft tödlich, wie z. B. bei „Werther“, Mignon im „Wilhelm Meister“ oder Ottilie in den „Wahlverwandtschaften.

Das Herz bei Heinrich Heine, 1797 – 1856

Die Romantiker misstrauen dem Herzkult, ohne sich ganz von ihm lösen zu können.

Und wie ist es um das Herz bei Heine bestellt? So gewiss Heine der Skeptiker unter den deutschen Romantikern ist, so wenig ist er bereit, sich in seiner Lyrik von dem traditionellen Herzsymbol zu trennen. Das Herz gehört zu den zentralen Motiven seiner Dichtung.

Auch in seinem Herzen gibt es

Sturm und Ebb und Flut,
und manche schöne Perle in seiner Tiefe ruht;
(Buch der Lieder)

doch ist das Herz in seiner Lyrik nicht mehr ein fröhliches, den Dichter ermunterndes:

„Mein dunkles Herze liebt dich,
es liebt dich und es bricht,
Und bricht und zuckt und verblutet…“

Und während Goethe enthusiastisch ausruft:

„In meinem Herzen, welche Glut!“

heißt es bei Heine:

„Vergiftet sind meine Lieder; –
Wie könnt es anders sein?
Du hast mir ja Gift gegossen
Ins blühende Leben hinein.
Vergiftet sind meine Lieder; –
Wie könnt es anders sein?
Ich trage im Herzen viel Schlangen,
Und dich, Geliebte mein.
              ***
Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht,
Ewig verlorenes Lieb! Ich grolle nicht,
Wie du auch strahlst in Diamantenpracht,
Es fällt kein Strahl in deines Herzens Nacht.
Das weiß ich längst. Ich sah dich ja im Traum,
Und sah die Nacht in deines Herzens Raum,
Und sah die Schlang’, die dir am Herzen frisst,
Ich sah, mein Lieb, wie sehr du elend bist.
(Buch der Lieder)

Das Herz in der Dichtung des 20. /21. Jahrhunderts

Als Theodor Fontane schreibt:

„O, lerne denken mit dem Herzen und lerne fühlen mit dem Geiste“,

ist es um das Herz in der Literatur nicht mehr gut bestellt, denn es ist, kaum dass man es bemerkt, in die Zuständigkeit der Trivialliteratur übergegangen:

„Ich hab‘ mein Herz in Heidelberg verloren,
In einer lauen Sommernacht….

Am Rüdesheimer Schloss steht eine Linde!
Der Frühlingswind zieht durch der Blätter Grün,
Ein Herz ist eingeschnitzt in ihre Rinde,
Und in dem Herzen steht ein Name drin…

Von den Schriftstellern, die etwas auf sich halten, wird es wenig beachtet

Das Herz hat seine Glaubwürdigkeit verloren; es wird ironisch distanziert betrachtet bei Kurt Tucholsky (1890-1935):

„ Ums Kinn starrn mir die Stoppeln.
Mein Vollbart ist noch jung.
So fahr ich nun nach Oppeln
zu ner Versteigerung…
Doch mein Herz,
doch mein Herz,
hat einen Sprung -!“

oder es klingt schnoddrig maliziös bei Bertolt Brecht (1898 – 1956):

„Ich aber, weit entfernt jetzt von Emphase
Empfand: Es hängt mein Herz an diesem Aase.

ich kann dies feile Fleisch noch nicht verschmerzen:
So tief sitzt die Kanaillje mir im Herzen!“
(aus „Wahre Ballade von einem Weib“)

Trotz allgemeiner Trivialisierung und distanzierter Ironisierung hat das Herz für einige große Dichter*innen des Expressionismus seine Anziehungskraft nicht verloren:

Bei Hermann Hesse (1877 – 1962) ist das Herz, das personale Zentrum: hier entspringen Weitung und Entwicklung, hier wohnen die Bereitschaft zu Wandlung, Abschied, zu Stirb und Werde:

„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andere, neue Bindungen zu geben…
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“
(aus „Stufen“)

Am häufigsten hören wir vom Herzen im Werk einer exzentrischen Frau, der jüdischen Dichterin Else Lasker – Schüler (1869 –1945), die sich genötigt sieht, im Mystischen und in der Ekstase Zuflucht zu suchen:

Versöhnung   ***

Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen…
Wir wollen wachen die Nacht,

In den Sprachen beten,
Die wie Harfen eingeschnitten sind.

Wir wollen uns versöhnen die Nacht –
So viel Gott strömt über.

Kinder sind unsre Herzen
Die möchten ruhen müdesüß.

Und unsere Lippen wollen sich küssen
Was zagst du?

Grenzt nicht mein Herz an deins –
Immer färbt dein Blut meine Wangen rot.

Wir wollen uns versöhnen die Nacht,
Wenn wir uns herzen, sterben wir nicht.

Es wird ein großer Stern fallen in meinen Schoß.

Das Herz – das ist gleichsam der rote Faden ihrer Poesie und zugleich deren blaue Blume. Sogar die autobiografischen Aufzeichnungen der Else Lasker – Schüler tragen den ebenso schlichten wie anspruchsvollen Titel Mein Herz“.

Moderne Lyriker in der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts sehen dank der Röntgenstrahlen das Herz anders als bisher. In Erich Kästners (1899 – 1974) Gedicht Das Herz im Spiegel wird weder verklärt noch poetisiert; hier herrscht der kühle und nüchterne, doch keineswegs gefühllose Ton der Neuen Sachlichkeit. Ein Mann wird durchleuchtet:

Und zwischen den Rippen schlug sonderbar
ein schattenhaftes Gewächs.
Das war mein Herz. Es glich aufs Haar
einem zuckenden Tintenklecks.

Ich muss gestehn, ich war verstört.
Ich stand zu Stein erstarrt.
Das war mein Herz, das dir gehört,
liebe Hildegard?

Laß uns vergessen, was geschah
Und mich ins Kloster gehen.
Wer nie sein Herz im Spiegel sah,
der kann das nicht verstehen.

Kind, das Vernünftigste wird sein,
daß du mich rasch vergisst.
Weil so ein Herz wie meines kein
Geschenkartikel ist.

Die Röntgendurchleuchtungen und die Elektrokardiogramme, die Herzoperationen und die Herzverpflanzungen haben der Symbolik des Herzens nichts anhaben können, ja sie haben der Literatur neue Motive und Themen geliefert, wie Robert Gernhardts (1937 –2006) Herz in Not – Tagebuch eines Eingriffs in einhundert Eintragungen:

Er betrachtet sein Herz via Katheter:
Das ist mal was Neues!
Mein Herz auf dem Bildschirm!
Schwarz-weiß, doch der Arzt
Sieht auch so schon genug:
Das sieht nicht gut aus
Und da nicht und da nicht –
Was ist? Ist Ihnen nicht gut?
….
Beschwichtigung zum zweiten
So ein Bypass, du,
ist was ganz normales!
Der Manfred hat einen
und der Hans-Werner,
der Max und der Günter,
der Paul und – Kein Wort mehr!
Man schämt sich ja regelrecht ohne!

Auch die Dichter unserer Zeit brauchen das Herzsymbol, wie der Dramatiker Heiner Müller (1929-1995) in einer bitter ironischen Variante des Klischees vom

„Herz aus Stein“:
Eins: Darf ich Ihnen mein Herz zu Füßen legen.
Zwei: Wenn Sie mir meinen Fußboden nicht schmutzig machen.
Eins: Mein Herz ist rein
Zwei: Das werden wir ja sehen.
Eins: Ich kriege es nicht heraus.
Zwei: Wollen Sie, dass ich Ihnen helfe
Eins: Wenn es Ihnen nichts ausmacht.
Zwei: Es ist mir ein Vergnügen. – Ich kriege es auch nicht heraus.
Eins: heult
Zwei: Ich werde es Ihnen herausoperieren. Wozu habe ich ein
Taschenmesser.  Nicht verzweifeln. So das hätten wir. Aber das ist ja ein Ziegelstein. Ihr Herz ist ein Ziegelstein.
Eins: Aber es schlägt nur für Sie.“

Es ist also nicht schlecht um das Herz bestellt. Schlimm ist es erst dann, wenn man von ihm nicht mehr in Bildern und Metaphern spricht, wenn es nur noch auf seine mechanischen Bewegungen ankommt, auf seinen bloßen Rhythmus. „In solcher Stunde – so hat es der österreichische Schriftsteller Alfred Polgar (1873 – 1955) in seinem „Traktat vom Herzenformuliert – “ist wenig Poesie mehr um das arme Ding, da wird furchtbar gleichgültig wofür es schlägt, wenn es nur schlägt.“

Hans Magnus Enzensberger (geb. 1929) schließt den Reigen der herzbewegten Dichter*innen:

Innenleben
Es schmilzt uns es blutet es lacht uns im Leibe
Wir tragen es auf der Zunge
Wir schütten es aus
Wir machen ihm Luft
Wir grüßen von ihm
Wir essen es in Aspik

Es ist steinern es ist weich
Golden hart brennend gespickt
Halb leicht tief gut oder schwer
Gebraten, gebrochen erweitert verfettet

Wir bringen etwas darüber und tragen etwas darunter
Wir legen die Hand darauf
Wir schließen etwas darin ein

Wir drücken etwas daran
Wir nehmen uns etwas dazu
Wir haben etwas darauf
Wir hängen es an etwas hin

Es hat Klappen Blätter Damen
Es hat Fehler Schläge Gründe Beutel und Gruben
Anfälle Kammern und Lüste

Wir lassen uns etwas daran wachsen
Und etwas darein schneiden
Und etwas daran greifen

Ein Stein fällt uns davon herunter
Wir machen eine Mördergrube daraus
Wir haben es auf dem rechten Fleck.

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