Bürgerentscheid kommt – Bürgerentscheid kommt nicht

Neanderhöhe Foto: TB / Archiv

Mehr Verwirrung um eine Ratsentscheidung kann es wohl nicht geben. Was sich gestern und heute um die Entscheidung der Zulässigkeit ‘Erbbaurecht für die Neanderhöhe’ ergab, ist kaum nachzuvollziehen.

Nach zweistündiger Diskussion, die vor allem auch die anwesenden Bürger oft unangenehm berührte, fiel gestern mit knapper Mehrheit eine Entscheidung für die Zulässigkeit des Bürgerentscheids.

Den anwesenden Bürgern zuliebe hatte man den Tagespunkt vorgezogen. Die Diskussion wechselte zwischen sachlichem Austausch, emotionalen Beiträgen, schweifte von der Sache ab und berührte immer mal wieder auch den Punkt ‘Bebauung oder nicht’, sodass Bürgermeister Christoph Schultz die Redner auffordern musste, bei der Sache zu bleiben.

Bevor es in die eigentliche Diskussion ging, erläuterte der anwesende Gutachter Rainer Schmitz noch einmal die wesentliche Punkte, die ihn zu der Einschätzung brachten, dass das Bürgerbegehren so nicht zulässig sei. Dabei pflückte er die Wortwahl des Bürgerbegehrens auseinander. “Die Initiatoren schreiben, dass die Grundstücke im Rahmen des Erbaurechts ‘vergeben’ werden sollen. Es fehlen aber die Kriterien, die im Vergaberecht bestimmt werden müssen. Wenn das Bürgerbegehren erfolgreich ist, hätte es die Gültigkeit eines Ratsbeschlusses, der sich dann aber von der Verwaltung nicht durchführen ließe”, führt er unberücksichtigt dessen aus, dass die Bürger mit dem Wörtchen ‘vergeben’ gar nicht das Vergaberecht berühren wollten. Erbbaurecht erfordere Vertragsinhalte wie Laufzeit und ähnliches, die im Bürgerbegehren nicht bestimmt seien. Darüber hinaus würden nicht alle Bürger verstehen, was Erbbaurecht überhaupt sei, hätten keine oder eine falsche Assoziation zu diesem Begriff, sodass die Klarheit in der Fragestellung fehle.

Initiatoren enttäuscht

Für die Initiatoren des Bürgerbegehrens ergriff zuerst Elmar Stertenbrink das Wort. “Ich hab vor einigen Wochen hier gestanden und um Unterstützung gebeten. Die Verwaltung soll Bürger ja bei Bürgerentscheiden unterstützen”, zeigte er sich enttäuscht von der Art, in der das Bürgerbegehren nun Wort für Wort zerpflückt wurde. Er sprach auch noch einmal an, dass der im Haupt- und Finanzausschuss getroffene Beschluss Erbpacht vorrangig zu behandeln, ja durchaus im Sinne der Initiatoren gewesen sei und das man mit dem Bürgerbegehren ja bewusst auch Entscheidungsspielraum für die Verwaltung erhalten wollte und nicht in jedem Punkt festlegen wollte, wie die Verträge gestaltet werden.

Für Irritation hatte zwischenzeitlich gesorgt, dass der Gutachter in einer ersten Stellungnahme vor allem damit argumentierte, dass ein Ratsbeschluss vorliegt, der im Bebauungsplan den Verkauf der Grundstücke vorsieht, weil er den zwischenzeitlich im Haupt- und Finanzausschuss gefassten Beschluss nicht kannte. In seiner zweiten Einschätzung setzte er den Schwerpunkt seiner Begründung dann auf die wörtlichen Inhalte des Bürgerbegehrens.

Mitten in Stertenbrinks Wortbeitrag warf Ratsmitglied Julia Götte lachend ein “Sie spielen hier eine Super-Nummer” und heizte damit das emotionale Klima der Diskussion noch weiter auf. “Es geht uns doch nur darum, als Bürger auch gehört zu werden. Machen Sie es doch nicht so spitz”, bat Stertenbrink.

Bürgermeister Christoph Schultz antwortete ihm: “Sie sehen, dass die Verwaltung nicht in der Lage ist, die rechtlichen Konsequenzen dieses Bürgerentscheids zu beurteilen und deshalb einen Anwalt hinzugezogen hat”. Mitinitiatorin Sabine Börner kommentierte die Aussage mit: “Welches Bürgerbegehren soll dann noch Bestand haben? Wir sind keine Juristen. Das ist ein Schlag vor den Kopf.”

Rückendeckung aus der Politik

Peter Knitsch, selbst Jurist, machte klar, dass es die ‘letzte juristisch geklärte Frage’ nicht gäbe und am Ende das Bundesverfassungsgericht entscheide, wenn die Antwort offen bleibt. Ausführlich geht er auf die Argumente des Gutachters ein und führt auch Beispiele anderer Kommunen auf, wie etwa einen Bürgerentscheid, der die Schließung eines Schwimmbads verhindert habe. “Da waren anschließend auch weitere Beschlüsse des Rats notwendig, um dem Bürgerbegehren zu entsprechen”, zeigte er auf, dass auch in Bezug auf die Erbpacht Beschlüsse zur Umsetzung des Bürgerentscheids folgen könnten. “Als Jurist kann ich zwar nicht ausschließen, dass Gerichte ihrer Argumentation folgen würden, aber das muss nicht so sein”, richtete er sein Wort an den Gutachter. Er sprach auch an, dass es – alternativ zum Bürgerentscheid – immer noch möglich sei, die Bürger seitens der Verwaltung zu befragen und stellte provokativ die Frage “Gibt es überhaupt ein Interesse, den Bürger zur Neanderhöhe zu hören?”. Er schloss mit der Aufforderung, dass man den Bürgern jetzt die Chance geben könne gehört zu werden. Dem schloss sich auch Ratsmitglied Barbara Geiss-Kuchenbecker an, die der Meinung ist, die Verwaltung müsse mit den Bürgern zusammenarbeiten.

Reinhard Knitsch ging in seinem Wortbeitrag auf die Historie der Neanderhöhe ein und bemängelte die fehlende Bürgerbefragung. Man müsse den Wunsch ein Meinungsbild einzuholen ernst nehmen und die Umsetzung des Gewerbegebiets nicht im gleichen Kreislauf wie bisher handhaben. Das kommentierte Bürgermeister Christoph Schultz damit, dass der Wortbeitrag am Thema des Tagesordnungspunkts vorbei ginge. Anwalt und Gutachter Rainer Schmitz erklärte noch einmal, dass der Gesetzgeber bewusst die Hürden für Bürgerbegehren hoch gesetzt hätte.

Die nicht enden wollende Diskussion

Detlef Ehlert erinnerte daran, dass die SPD den Bebauungsplan abgelehnt hatte, dass er es aber auch nicht befürworte, dass die Entscheidung nun mit ‘Tricks ausgehebelt werden solle’. “Mir ist nicht wohl dabei, wie hier darüber diskutiert wird”, drückte Andreas Kuchenbecker daraufhin sein Missfallen über die Art der Diskussion aus.

Als schließlich Philipp Kloevekorn, Mitinitiator des Bürgerbegehrens, zu Wort kam, drückte er es ähnlich aus. Neben der Frage, wann aus Sicht der Verwaltung denn Erbbaurecht oder Verkauf in Frage kämen, richtete er seine Worte an den Rat “Ich fühle mich hier persönlich angegriffen, wenn von Tricks geredet wird. Ich vermisse den Respekt voreinander, hier wird gelacht und auf dem Handy gedaddelt”, fasste er zusammen, wie die anwesenden Bürger den Rat gerade wahrnehmen. Das wollte Ratsmitglied Wolfgang Jöbges so nicht stehen lassen und kommentierte “Es gibt Länder, in denen es weitaus mehr Bürgerentscheide gäbe und die damit nicht sehr glücklich sind”. Er verwies auf die repräsentative Demokratie und dass die Wähler ja in wenigen Monaten die Möglichkeit hätten eine Entscheidung zu treffen, indem sie wählen.

Mitten im Wahlkampf

Spätestens ab diesem Moment floss der Wahlkampf in die Diskussion des Tagesordnungspunkts ein. Reinhard Knitsch beteuerte noch einmal, dass er in seinem Wortbeitrag nicht von ‘Bebauung ja oder nein’ gesprochen habe, macht aber gleichzeitig deutlich “Glauben Sie mir, wenn nach der Wahl noch kein Bagger gerollt ist, können auch wieder andere Beschlüsse gefasst werden”. Peter Knitsch unterstrich, dass Leerstände, wie derzeit in Unterfeldhaus, vermieden werden müssten und machte darauf aufmerksam, dass die Neanderhöhe Einfluss auf die Wahl hat. Daraufhin entzog Bürgermeister Schultz ihm das Rederrecht, dass er zu diesem Tagesordnungspunkt schon ausgiebig wahrgenommen hatte, was kurzzeitig zu erhobenen Stimmen auf beiden Seiten führte.

Elmar Stertenbrink richtete noch einmal das Wort an den Gutachter: “Wir haben das Gefühl, dass sie die Nadel im Heuhaufen gesucht haben.” Die Initiatoren hätten sich über den Beschluss des Haupt- und Finanzausschusses gefreut. Ratsmitglied Mark Hildebrand ruft lautstark in seinen Wortbeitrag hinein.

Als schließlich Ratsmitglied Bernhard Osterwind zu Wort kam, wies er noch einmal darauf hin, dass bei diesem Tagesordnungspunkt nicht um ‘Bebauung ja oder nein’ ginge, sondern lediglich um den Bürgerentscheid. Er hatte sich offensichtlich ausführlich vorbereitet und nahm das Gutachten zur Hand, dass er an vielen Stellen mit Markern versehen hatte. “Wenn man die Begründung liest, kann man schreiend auf dem Rathaus laufen”, begann er und griff sich dann einzelne Punkte heraus. Er wies auf eine Bedeutungsverschiebung hin, die durch eine andere Wortwahl entsteht und erklärte auch Möglichkeiten des Erbbaurechts.

Rund zwei Stunden, inklusive einer Sitzungsunterbrechung, wurde der Tagesordnungspunkt diskutiert, bevor es dann endlich zu einer Abstimmung kam. Vor der Abstimmung fragte Bürgermeister Christoph Schultz den Gutachter: “Was würden sie mir raten, wenn der Rat sich jetzt – trotz des vorliegenden Gutachtens – für die Zulässigkeit des Bürgerentscheids ausspricht?”. Die antwortet ihm: “Sie sollten den Ratsbeschluss beanstanden.”

Die Abstimmung für oder doch gegen die Zulässigkeit?

Im Rahmen der Corona-Einschränkungen gibt es im Erkrather Rat derzeit eine Pairing-Vereinbarung, die sicherstellen soll, dass das Kräfteverhältnis des Rats, trotz fehlender Ratsmitglieder, erhalten bleibt. Bei der gestrigen Abstimmung verkündete der Bürgermeister, dass die Zulässigkeit bei Gegenstimmen aus CDU und FDP mit zwei Abweichlern aus der SPD, mit einer Stimme Mehrheit beschlossen sei. Im Raum stand in diesem Moment natürlich noch die Frage, ob er den Beschluss später beanstanden würde. Heute Vormittag nun wandte er sich, wie wir von SPD und Grünen erfuhren, mit einer Mail an die Ratsmitglieder und teilte mit, man habe sich verzählt und aufgrund der eigentlichen Stimmengleichheit sei gestern die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens beschlossen worden. Eine öffentliche Stellungnahme oder Pressemitteilung dazu liegt uns noch nicht vor.

“So kann man doch nicht handeln. Es gab einen verkündeten Beschluss”, sagte uns Peter Knitsch heute Mittag in einem Telefonat. “Damit, dass er uns nun einfach mitteilt, dass die Abstimmung doch anders ausgefallen sei, bleibt den Fraktionen jetzt nur die Möglichkeit eilig Rechtsmittel gegen diese Mitteilung einzulegen.”

Wie die Fraktionen nun damit umgehen ist noch offen. Detlef Ehlert schrieb uns: “Das ist eine neue Situation, die wir als SPD-Fraktion neu beraten müssen.”

Telefonat mit Elmar Stertenbrink

Heute Vormittag noch hatten wir Elmar Stertenbrink angerufen, um zu erfahren, wie das Wort ‘vergeben’ im Bürgerentscheid gemeint war. Er hatte unsere Einschätzung bestätigt, dass damit gar nicht das Vergaberecht berührt werden sollte. Zu dem eigentlichen Ansinnen des Bürgerentscheids erklärte er: “Das Erbbaurecht gibt der Stadt die Möglichkeit langfristig nicht die Entwicklungshoheit über ein Gewerbegebiet abzugeben. Damit könnte verhindert werden, dass es in 20 oder 30 Jahren zu ungenutzten Leerständen komme, auf die die Stadt dann wenig oder keinen Einfluss ausüben könne.” Damit wollte die Initiative vermeiden, dass noch einmal eine Situation wie in Unterfeldhaus entsteht.

Kommentar:

War schon die gestrige Diskussion eher dazu geeignet die Politikverdrossenheit der Bürger zu steigern, dürfte das mit der heutigen Mitteilung noch zunehmen.

3 Kommentare

  1. Es ist sehr schade, dass Frau Garcia hier recht einseitig berichtet. Ja, ich habe etwas in die Rede von Herrn Stertenbrink reingerufen, da er in seinen Wortbeitrag Mitglieder der CDU Fraktion persönlich angegriffen hat und dies mit sehr unschönen Worten. Dies entspricht nicht meinem Empfinden von einer vernünftigen Wortwahl. Daher habe ich ihm mein Missfallen mit den Worten “Unterlassen Sie es, Herrn Jöbges zu beleidigen!” dargestellt. Das sollte man der Vollständigkeit halber auch erwähnen.

    • Lieber Herr Hildebrand,
      nehmen Sie es nicht persönlich. Es war von meinem Platz aus unmöglich in Worten zu verstehen, was sie lautstark dazwischen riefen.
      Sie waren auch nicht der Einzige, der in dieser Diskussion durch Zwischenrufe Redebeiträge anderer unterbrach, was eigentlich für eine Ratssitzung ein wenig ungebührlich erscheint. Dafür gibt es ja das Rederecht und eine Antwort auf etwas, was einen persönlich verärgert, gibt man dann im eigenen Redebeitrag. So kenne ich es zumindest aus öffentlichen Sitzungen.
      Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
      Gruß
      Ria Garcia

  2. Verwirrung im Stadtrat – Debatte um Neanderhöhe erreicht traurigen Höhepunkt

    Ja, es ist Wahlkampf! Da schlagen die Wogen schon einmal höher. Und es ist Pandemie. Die Absicht, allen Ratsmitgliedern die Abstimmung zu ermöglichen, auch wenn man aus Angst vor einer Ansteckung nicht ins Rathaus kommen will, ist vernünftig. Dass die genaue „Pairing-Vereinigung“ nicht zur notwendigen Klarheit geführt hat, ist unschön, lässt sich aber auflösen. Jenseits der Verwirrung um die Zählung der Stimmen darf sich der Bürger aber nur noch wundern, wie die Mehrheiten für oder gegen die maßvolle Bebauung der Neanderhöhe schwanken:

    Die Grünen waren zugegebenermaßen immer konsequent gegen eine Bebauung. Politisch immerhin ein klares Statement. Sorgen macht mir aber, dass die Grünen ständig gegen die Rechtempfehlung der Stadt und sogar des Städte- und Gemeindebunds stimmt. Wer, wie Peter Knitsch, für sich in Anspruch nimmt, Chef der Verwaltung werden zu wollen, sollte sich an Recht und Gesetz mehr gebunden fühlen.

    Der Bürgermeisterkandidat der SPD erklärte noch vor ein paar Tagen in der IHK-Wahlarena, dass er für die maßvolle Bebauung sei. Nun stimmt die SPD mit großer Mehrheit, aber uneinheitlich, für das Begehren. Nicht nur der Wähler ist verwirrt.

    Die BmU hatte mit ihren Stimmen vor Monaten erst den Kompromiss möglich gemacht, den
    kleineren Teil der Neanderhöhe zu bebauen. Im April letzten Jahres lehnte sie deshalb das erste Bürgerbegehren ab. Nun stimmten alle 7 Mitglieder für das neue Bürgerbegehren!

    Mir und vielen Bürgern fehlen da die Worte. Gut, dass einer die Ruhe behält und nicht wackelt – das ist Bürgermeister Christoph Schultz! Nach diesen Ereignissen ist es gut, dass bald Kommunalwahlen sind. Jeder, der Christoph Schultz unterstützt, sollte ihm auch im Rat endlich eine Mehrheit verschaffen und Parteien wählen, die hinter ihm stehen. Das sind CDU und FDP. Denn im Moment wird Schultz von SPD, Grünen und BmU gebremst, behindert und attackiert, wo es nur geht.

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